Meine erste Russlandreise

Wenn man eine Sprache studiert, lassen die Auslandsaufenthalte (im Idealfall ein ganzes Semester) nicht auf sich warten. Meine erste Russlandreise habe ich schon als Schülerin gemacht, ein Austauschprogramm führte mich nach Jaroslawl.

Jaroslawl gehört übrigens zu den historischen Städten im „Goldenen Ring“ um Moskau. Es hat einen wunderschönen Kreml und ist absolut eine Reise wert!

Ich in Jaroslawl
Ich in Jaroslawl

Schon als Schülerin: Jaroslawl

Ich hatte das Glück, auf eine Europaschule gehen zu können. Dort legte man viel Wert auf Fremsprachen und Schüleraustauschprogramme. Da der Direktor ein Russlandfan und auch mit einer Russin verheiratet war, wurde auch Russisch angeboten und es gab einen Russlandaustausch. Und so kam ich als Elftklässlerin nach Jaroslawl, denn dort hatten wir eine Partnerschule.

Erste Eindrücke von Russland

Gleich beim Ankommen war ich absolut geflasht. Überall russische Buchstaben! Die konnte ich dank Unterricht zwar schon gut lesen, aber natürlich noch längst nicht alle Worte verstehen. Logisch fiel uns auch gleich auf, dass die Straßen und Autos in einem schlechteren Zustand und schmutziger waren, als bei uns. Das hatte man irgendwie ja auch erwartet. Aber das hat mich nicht gestört.

Wir kamen in Jaroslawl ziemlich spät an, es war also schon dunkel, als wir unsere Gastfamilien kennen lernten und man konnte fast nichts sehen. Ich ging halt mal dem Mädchen nach, das sich gleich als erstes meinen Koffer geschnappt hatte. Aber es stellte sich heraus, dass das völlig in Ordnung war: Ich hatte eine absolut freundliche und nette Gastfamilie erwischt.

Gleich am ersten Abend kamen auch Klassenkameraden meiner Gastschwester und wollten mit uns spazieren gehen 🙂 So spät durften wir dann nicht mehr raus, aber dafür haben wir uns danach fast jeden Tag gesehen.

Die legendäre russische Gastfreundschaft

Die russische Gastfreundschaft lernte ich auch gleich kennen, denn meine Gastschwester überließ mir ihr Zimmer und schlief im Wohnzimmer auf der Couch. Ein weiterer Ausdruck der legendären Gastfreundschaft war, dass ich bei allen Ausflügen unglaublich viel Essen mitbekam. Bei meiner Gastmutter war es irgendwie auch extrem… Ich hatte gefühlt meistens doppelt soviel Essen dabei wie meine Mitschüler.

Wir waren an einem Nachmittag auch auf der Datscha einer anderen Gastfamilie. Es wurden also Schaschliki auf einem Mangal gegrillt und genau so wie man es sich vorstellt bog sich am Ende der Tisch vor Essen 🙂 Für mich war aber auch die Bauweise der Datscha äußerst interessant. Das Zentrum war definitiv der Kachelofen. Die Räume waren praktisch um den Kachelofen herum gebaut, sodass die Wärme gleichmäßig in jeden Raum verteilt wurde.

Was mich sonst noch beeindruckt hat

In Russland ist vieles anders als bei uns, auch die Sichtweise auf Politik und Bildung ist anders. Ich bemerkte das daran, dass wir ein straffes und äußerst abwechslungsreiches Kulturprogramm mitgeliefert bekamen. Wir besuchten sehr viele Kirchen und Klöster (nicht vergessen: Da braucht man ein Kopftuch als Frau! In manchen muss man sogar einen langen Rock tragen. Wenn man so etwas nicht dabei hat, kann man es in vielen Klöstern aber auch ausleihen.)

Außerdem wurden wir im Stadtparlament begrüßt und bekamen einen Einblick in die Kommunalpolitik und die Jugendarbeit dort. Wir besuchten ein „Schöpferhaus“, in dem Kinder und Jugendliche kostenlos Kurse besuchen und zum Beispiel Tanzen oder ein Musikinstrument spielen lernen konnten.

Schnell war mir klar: Als Deutsche gehen wir eher ungern in die Schule oder wollen Kulturstätten oder Museen besuchen und Vorträge hören. Nicht so die Russen! In Russland wird auf Bildung und Kultur wirklich viel Wert gelegt, und wenn man als Gast dorthin kommt, dann ist es genau das, was die Gastgeber einem bieten möchten.

Wohnen und Leben in Jaroslawl

Wohnen in Russland war auch anders, als ich das gewohnt war. Familien wohnen meist in Plattenbauten und man fährt am Wochenende auf seine Datscha, um Natur und Garten zu genießen. Die berühmten „Typenwohnungen“, die in gleich aussehenden Plattenbauten immer gleich aufgebaut sind, sind ein Klischee, das sich aus der Sowjetunion bis heute durchzieht. Womit ich nicht gerechnet hatte war, dass man in der Regel drei Türen aufschließen muss, bis man in der Wohnung drin ist. Die Häuser haben normalerweise elektronische Schlösser, die man entweder mit einem Code oder einem elektronischen Schlüssel öffnet. Die Wohnungen selbst haben dann auch noch einmal zwei Türen. Bei meiner Gastfamilie war es eine Tür für zwei benachbarte Wohnungen, die man mit einem schweren Schlüssel aufsperren musste, und dann noch die jeweiligen Wohnungstüren.

Für uns klingt Plattenbau erst einmal trist. Aber das ist es absolut nicht! Die Wohnungen sahen normal aus, so wie wir das kennen. Jede Wohnung hatte auch einen großen Balkon. Und es gab vor jedem Gebäudekomplex einen Spielplatz.

Ansonsten spürte man einfach, dass vieles sich damals, im Jahr 2001, noch immer im Aufbau nach dem Zerfall der Sowjetunion befand. Viele der Kirchen, die wir besucht haben, waren zerstört und wurden renoviert. Es gab viel Kriminalität, sodass der, der ein Auto hatte, es lieber in einer bewachten Tiefgarage unterstellte. Sowieso waren der Straßenverkehr und die Autos sehr beeindruckend für mich 🙂 Man musste sich auf der Rücksitzbank nicht anschnallen. Oftmals gab es dort gar keine Sicherheitsgurte. Und man sah (und roch) noch viele alte Moskwitschs und Schigulis fahren, für uns absolut kultig und witzig! Und fast schon ein kleines Abenteuer, dort mitzufahren.

Kommunikation in einem fremden Land

Da mein Russisch (und auch das der anderen deutschen Austauschschüler) sich noch auf die Grundlagen beschränkte, lief die Kommunikation mit den russischen Austauschschülern generell auf Englisch.

Ich merkte auch recht schnell, dass man für Kommunikation nicht unbedingt Sprache braucht. Außer meiner Gastschwester konnte niemand in meiner Austauschfamilie Englisch. Mit meiner Gastmutter und dem fünfjährigen Bruder meiner Gastschwester musste es deshalb mit Händen und Füßen gehen. Spielen mit dem Kleinen war toll, denn um sich einen Ball zuzuwerfen oder Grimassen zu schneiden braucht man nicht unbedingt Worte. Mit meiner Gastmutter hatte ich schnell ein gutes Repertoire an Gesten und Zeichen sowie internationalen Ausdrücken und zwei-drei Brocken Englisch. Ein großes Problem war die Verständigung im Alltag deshalb gar nicht. Und natürlich habe ich sprachlich auch unglaublich viel gewonnen, denn die Gesten wurden ja immer auch mit den passenden russischen Sätzen ergänzt. Ob das vielleicht die Mama-skills sind, die man einfach beherrscht, wenn man zwei Kindern Sprechen beigebracht hat? Jedenfalls hat es sehr gut funktioniert.

„Ich komme wieder!“

Nach diesem Schüleraustausch war mir ziemlich klar, dass ich weiter Russisch lernen und diese Sprache einmal studieren wollte. Ich hatte mich in Land und Leute einfach verliebt! In einer Gastfamilie zu leben ist einfach die beste Möglichkeit, Land und Leute kennen zu lernen. Und natürlich kam ich auch zurück nach Russland, wenn auch bisher nicht nach Jaroslawl.