Slawische und westeuropäische Sprachen sind miteinander verwandt. Sie gehören zu den indoeuropäischen Sprachen und gehen somit nach aktuellem Stand der Wissenschaft auf einen gemeinsamen Ursprung, die urindoeuropäische Sprache, zurück. Diese wird natürlich nicht mehr gesprochen, aber aus den heute noch bestehenden indoeuropäischen Sprachen können wir sie größtenteils rekonstruieren.
Die heutigen indoeuropäischen Sprachen
Die indoeuropäischen Sprachen sind mit weitem Abstand die Sprachen, die am meisten gesprochen werden. Man schätzt, dass ca. drei Milliarden Menschen eine indoeuropäische Sprache sprechen!
Viele indoeuropäische Sprachen sind bereits wieder ausgestorben, zum Beispiel die anatolischen Sprachen, zu denen auch das Hethitisch gehörte. Auch viele der gälischen Sprachen und das Gotische sind ausgestorben.
Der Stammbaum der indoeuropäischen Sprachen ist bis heute also sehr weit verzweigt. Zu ihnen gehören zum Beispiel die romanischen Sprachen Spanisch, Italienisch, Portugiesisch und Französisch, die auf das Latein und somit die italische Sprachgruppe zurückgehen. Deutsch und Englisch gehören zum westlichen Zweig der germanischen Sprachen. Zu den germanischen Sprachen gehören auch die skandinavischen Sprachen Dänisch, Norwegisch und Isländisch.
Aus dem indoiranischen Zweig der indoeuropäischen Sprachen sind die zahlreichen indischen Sprachen und die iranischen Sprachen hervorgegangen.
Ein Zweig der indoeuropäischen Sprachen ist auch das Balto-Slawische, aus dem einerseits die baltischen Sprachen Litauisch und Lettisch hervorgegangen sind, aber auch die slawischen Sprachen.
Die slawischen Sprachen wiederum lassen sich in Ostslawisch (Russisch, Ukrainisch und Weißrussisch), Südslawisch (zum Beispiel Bulgarisch, Serbokroatisch) und Westslawisch (zum Beispiel Tschechisch, Polnisch und Sorbisch) einteilen.
Woran hört man die Verwandtschaft der slawischen zu den westeuropäischen Sprachen?
Die Sprachen haben sich nicht einfach so voneinander abgegrenzt, sondern der Lautwandel unterlag Gesetzmäßigkeiten. Aufgrund dieser Lautgesetze kann man auch die urindoeuropäischen Wortwurzeln rekonstruieren.
So gilt zum Beispiel, dass in den sawischen Sprachen die Fließlaute (Liquide) L und R umgestellt wurden (Liquidametathese), also mit dem Vokal vor ihnen den Platz tauschten. Im Russischen kam dann in der Regel die Polnoglasie, also der Volllaut hinzu, sodass vor dem Liquid wieder ein Vokal ergänzt wurde.
Ein Beispiel hierfür ist das russische Wort moloko für Milch. Im Polnischen heißt es mleko und im Tschechischen mléko, den Volllaut vor dem L gibt es nur im Russischen. In den westeuropäischen Sprachen wurde das L nicht umgestellt, sodass zuerst der Vokal und dann das L kommt wie in milk und Milch. Und im Urindoeuropäischen? Da kann man die Form *melk rekonstruieren.
Und was hat der englische guard und der deutsche Garten mit der russischen Stadt (gorod) zu tun? Genau, vermutlich gab es eine urindoeuropäische Form *gard. In den slawischen Sprachen kristallisierte sich die Bedeutung „Burg“ und auch „Stadt“ heraus, vermutlich war ursprünglich ein umfriedeter Bereich gemeint. Im Polnischen hieß Burg früher gród, im Tschechischen hrad. Heute heißt Stadt im Tschechischen grad. Im Russischen kam dann noch der Volllaut dazu, sodass gorod daraus wurde. In den westeuropäischen Sprachen wurde das R nicht umgestellt, aber die Bedeutung hat sich geändert. Unser deutscher Garten und der englische guard haben dieselbe Wurzel.
Außerdem ist auch Karl der Große in den slawischen Sprachen verewigt, nur wurde auch hier gemäß der Liquidametathese das R nach vorne verlegt. Auf Tschechisch heißt König daher král und auf Polnisch król. Auf Russisch kam der Vollaut dazu, sodass König hier korol heißt.
Warum sollte man die Sprachgeschichte lernen?
Studenten müssen in den ersten Semestern die Sprachgeschichte und auch zum Teil die Beziehungen zwischen den Sprachen kennen lernen. Zum einen natürlich, weil sie dieses Wissen eventuell brauchen, wenn sie später einmal in die Forschung gehen, zum anderen aber auch, weil man sich einen Sprache viel einfacher und viel schneller erschließen kann, wenn man die Grundprinzipien ihrer Entstehung kennt. Wenn man weiß, woher ein Wort stammt und wie es gebildet wurde, wird man es nicht mehr vergessen. Und auch in der Grammatik gibt es plötzlich keine Ausnahmen mehr, sondern alte Deklinationsmuster, die erhalten geblieben sind.
Wer mehr erfahren möchte und vielleicht gerade über ein Slawistikstudium nachdenkt, kann hier gerne weiterlesen.